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Unter Druck

An einem Sommerabend 1976 im Hansa-Hotel entsteht die Idee, Grafiken und Texte zu kombinieren und in Eigenregie herauszugeben. Zahlreiche Grafik-Lyrik-Mappen erscheinen in der „Obergrabenpresse“, die bis heute in der Dresdner Neustadt arbeitet.
In Peter Herrmanns Atelier steht eine alte Andruckpresse, Bau-jahr 1908. Die druckt „grafiklyrik 1“ mit fünf Aquatinta-Radierungen von Eberhard Göschel und fünf Gedichten von Bernhard Theilmann. Das Vorhaben sprengt den behördlichen Rahmen. Trotzdembe-kommt Theilmann die ersehnte Druckgenehmigung.
Im Obergraben 9 gründen Eberhard Göschel, Peter Herrmann, Jochen Lorenz, A.R. Penck und Bernhard Theilmann gemeinsam die „Obergrabenpresse“. Holzschnitte von Herrmann und Gedichte von Michael Wüstefeld bestücken 1979 „grafiklyrik 2“, deren Genehmigung jetzt sogar recht unkompliziert vonstatten geht. Offiziell gibt es keinen Verlag Obergrabenpresse: Alle agieren gleichberechtigt und irritieren damit die Behörden.
1980 bringt A. R. Penck die Edition „Kneipen und Kneipentexte“ heraus, und plötzlich ist die behördliche Kulanz vorbei. Penck muss zwischen Gefängnis und Ausbürgerung wählen. Als die Mappen erscheinen, kann er sie nicht mehr signieren. 1983 verlässt auch Herrmann die DDR. Druckgenehmigungen werden nun nicht mehr erteilt.
An ihrem Konzept, in künstlerischer Freiheit zu produzieren, hält die Gruppe trotzdem unbeirrt fest. Theilmann gewinnt nun Autoren wie Elke Erb, Adolf Endler oder Bert Papenfuß dafür, ihre Texte handschriftlich zu vervielfältigen. Eine Lücke im Gesetz: Die Auflage ist klein, und gedruckt sind die Texte nicht.Am 1. März 1984 schreibt Siegmar Faust, nach mehrjähriger Haft aus der DDR ausgebürgert, in der Tageszeitung „Die Welt“ über „eine Untergrund-Edition aus Dresden“. Der Kreis um die Obergrabenpresse wird von da an ständig von der Staatssicherheit beobachtet.
1985 belehrt der Rat des Bezirkes Dresden Göschel schriftlich darüber, dass die Arbeitsform der Obergrabenpresse in der Honorarordnung nicht vorgesehen und deshalb nicht legal sei. Trotzdem: Die Obergrabenpresse besteht weiter.Mit dem Katalog „Unter Druck“ und einer großen Ausstellung im Kupferstich-Kabinett feiert sie ihren 20. Geburtstag.
„Das Verrückte ist ja, dass es uns noch immer gibt“, sagt Theilmann 1997. Und heute? Heute druckt eine 1990 aus dem Nachlass der realsozialistischen Kulturarbeit des „Bitterfelder Weges“ erworbene Kupferdruckpresse in der Neustädter Eisenbahnstraße.