Ansturm auf die Kunst

Die „Gemäldegalerie Neue Meister“ bietet den zentralen Kunstausstellungen der DDR einen würdigen Rahmen. Dem Ansturm der Zuschauer ist sie kaum gewachsen: Scharen kommen organisiert und verordnet als Brigadeausflug, viele andere besuchen sie aus Interesse und individuell. Die fehlende politische Öffentlichkeit bewirkt außerdem, dass sich die Besucher – auf der ständigen Suche nach einer gesellschaftlichen Positionsbestimmung – die Frage stellen: Welche Kunstwerke haben es diesmal in die offizielle „Leistungsschau“ geschafft?
Der Weg in die Dresdner Kunstausstellungen ist ein langer. Jahre zuvor beginnen der Verband Bildender Künstler (VBK), das Ministerium für Kultur und die Jury parallel an Entwürfen zu arbeiten. Das gemeinsame Konzept muss dann die Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED und das Politbüro passieren. Die Einflussnahme der Politik ist an verschiedenen Stellen dieses Systems möglich und wird auch genutzt.
Der Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann beordert per Anruf den Leipziger Maler Sighard Gille kurz vor Eröffnung der IX. Kunstausstellung nach Dresden. Dieser erinnert sich: „Und da saßen sie alle, der Hoffmann und der [VBK-Präsident Willi] Sitte und die [Ursula] Ragwitz . Und die sagte gleich: ‚ Das [Bild-Plastik-Objekt ‚Gesellschaft mit Wächter’] können wir doch unter Ulk verbuchen. Die Figur, die können wir doch herausnehmen.’ (…) Dann fing sie an, ‚das sieht ja aus wie ein SS-Mann’. Ich sagte, ‚das muss ja auch einschüchternd sein. Das ist ja ein Wächter.’ (…) aber, so haben sie gesagt, das Objekt sei ein Affront gegen unsere Volksarmee und gegen die Staatssicherheit. ‚Das können wir nicht akzeptieren’, und ich musste das Ganze herausnehmen.“ Obwohl so rigorose Zensurfälle selten vorkommen, zeigen sie doch deutlich, welch hohen Stellenwert die SED-Kulturfunktionäre den Kunstausstellungen beimessen.
Im Wirkungsraum der Ausstellungen kann sich trotzdem ein in den Medien vollkommen fehlender Ersatzdiskurs etablieren. Insgesamt finden in Dresden zwischen 1946 und 1988 zehn Kunstausstellungen statt. Vom „Bitterfelder Weg“ motiviert, gehören bis zur siebenten auch immer „Werke des künstlerischen Volksschaffens“ zum Ausstellungskanon. Durchweg ist das Interesse groß: Mit mehr als einer Million Besucher avanciert die „Achte“ sogar zu einem massenwirksamen Kunstereignis. Die Entwürfe für die XI. Kunstausstellung kommen über die ersten Konzeptionsstufen nicht mehr hinaus.